«Dass in ihrem Betrieb auch über Tiefs gesprochen wird, gibt Flavia ein Hoch.»

Wie in Flavias Betrieb Platz für Sonnenschein und Schattenseiten ist

Psychische Erkrankungen wie Depression, Angststörung, somatoforme Erkrankung oder Sucht sind weit verbreitet. Auch in Kombination mit chronischer physischer Erkrankung treten sie gehäuft auf. Ob psychische Erkrankungen heutzutage öfter als früher auftreten oder dank besserem Wissen einfach häufiger erkannt werden, ist unklar. Klar ist hingegen: Psychische sowie lang andauernde physische Erkrankungen sind für die betroffenen Personen und oft auch für deren privates und berufliches Umfeld äusserst belastend. Lässt sich bei chronischer Erkrankung ein Weg finden, dass trotz Einschränkungen gearbeitet werden kann, trägt dies zur Stabilisierung der gesundheitlichen Situation bei.

Sanitärplanerin Flavia Coldebella weiss, wie es sich anfühlt, wenn man aufgrund physischer und dadurch teilweise auch psychischer Erkrankungen nicht die Leistung erbringen kann, die man eigentlich bieten möchte und man die Erwartungen an sich selbst anpassen muss. Ihre Lehre als Sanitärinstallateurin brach sie kurz vor Abschluss ab. Unter anderem dank der Unterstützung ihrer Firma gelang jedoch der Abschluss als Sanitärplanerin. Ein Moment des Hochs für Flavia.

Noch immer arbeitet Flavia als Sanitärplanerin und schätzt diese interessante und vielseitige Tätigkeit sehr. Für ihren Betrieb leistet sie wertvolle Arbeit. Hochs und Tiefs gibt es nach wie vor, Flavia fühlt sich aber besser als auch schon. Ihre Firma – die Kläy Haustechnik AG – gibt ihr so viel Spielraum, wie dies im Rahmen des Betriebs möglich ist. Verwaltungsratspräsident Thomas Kläy ist früherer Olympiasieger im Curling und aus dem Spitzensport mit «mentalen und körperlichen Herausforderungen» gut vertraut. Für ihn ist klar: «Unsere Mitarbeitenden können mit allem zu uns kommen. Das können auch ernsthafte Schwierigkeiten wie zum Beispiel psychische oder finanzielle Probleme sein. Es wird einfach geholfen. Das Leben ist vielfältig und besteht nicht immer nur aus Sonnenschein.»

Zentral für Flavia ist eine sorgfältige Arbeits- und Zeitplanung. In ihrem Team berichtet sie offen darüber, wie es ihr geht. Es ist ihr – wie auch der Betriebsleitung – wichtig, dass das Team durch ihre Ausfälle nicht zu stark belastet wird. Das reduzierte Pensum und der vom Betrieb eingerichtete Arbeitsplatz zu Hause geben ihr die Möglichkeit, die Arbeit dann zu verrichten, wenn es ihr gut geht. Aktuell wird mit der IV eine Teil-Unterstützung abgeklärt. Hilfreich für Flavia ist auch, dass sie in guter medizinischer und therapeutischer Behandlung ist.

Weil Flavia weiss, dass sie mit all ihren Facetten im Betrieb willkommen ist, wiegen die Tiefs weniger schwer und die Hochs haben mehr Platz. Thomas Kläy ist überzeugt, dass diese offene Haltung auch dem Betrieb zugutekommt. Nicht nur ist er gerade in Zeiten überbordender Auftragsbücher froh um eine Fachkraft mehr – der flexible Umgang mit verschiedenen Bedürfnissen und Situationen hilft dem Betrieb ganz generell, leistungsfähig, innovativ und kreativ zu bleiben.

Heute schon über deine Schwächen geredet?

Auslöser einer psychischen Krise sind meist Situationen mit hoher Beanspruchung, zum Beispiel langandauernde Stressphasen. Faktoren der Arbeit sowie des sozialen Umfelds wirken mit den individuellen Voraussetzungen einer Person zusammen. Anzeichen sind oft Veränderungen im sozialen Umgang, der körperlichen Verfassung oder der Leistungsfähigkeit.

Es gibt kein Standardverfahren im Umgang mit psychischen Problemen. Das frühzeitige Ansprechen und allenfalls eine Anpassung der Arbeitssituation schaffen vielfach schon Entlastung. Bleibt die Situation schwierig, lohnt es sich, rasch externe Unterstützung beizuziehen (z.B. Hausärztin, Psychotherapeut, IV-Beraterin, Case Manager der Taggeldversicherung, kantonale Fachstelle, Coach oder Beraterin einer spezialisierten Firma, Verantwortlicher für Arbeitssicherheit des Branchenverbands). Das Kurzvideo aus dem Artisana-Projekt «Was ist bloss mit Max Muster los?» zeigt drei reale, anonymisierte Fallbeispiele.

Eine Betriebskultur, in der sowohl auf Erfolgreiches als auch auf Schwieriges proaktiv reagiert wird, schafft ein gesundes Arbeitsumfeld. Positives wird gefördert, Motivation und Teamgeist werden gestärkt. Eine frühzeitige Reaktion auf Problematisches kann Krankheiten und Ausfälle verhindern. Wichtig ist die Offenheit für alle Facetten des Lebens, ebenso das kontinuierliche Reden – nicht nur über Erfolge und Stärken, sondern auch über Stress, Fehler, Verletzlichkeiten und Schwächen. Auf diese Weise kann ein Arbeitsklima entstehen, das die psychische Gesundheit schützt und stärkt.

Ein gewisser Level an Belastungen ist völlig normal

Roland Schaad ist Geschäftsführer der Firma SCHAAD – Systemische Psychologie. Er berät und schult Einzelpersonen und Firmen in den Bereichen Arbeitspsychologie, Kompetenzentwicklung, Arbeitssicherheit und Betriebliche Gesundheit sowohl in der Deutschschweiz als auch im Tessin. Für den Schweizerisch-Liechtensteinischen Gebäudetechnikverband suissetec hat er die Weiterbildung «Fit im Kopf – Psychische Gesundheit» entwickelt.

Zur Herangehensweise ans Thema meint er: «Für mich ist wichtig, dass Stress und Belastungen nicht per se verteufelt werden. Körperliche und psychische Belastungen machen doch unsere Identität aus – wir suchen sie ja oft auch explizit. Wenn wir sie meistern, fühlen wir uns gut und haben etwas geleistet. Und wenn wir einmal scheitern oder eine Krise haben, ist dies auch eine Chance, um Neues zu lernen. Die Frage ist vielmehr, wann alltägliche und gut aushaltbare Belastung zu gesundheitsschädigender Überbeanspruchung führt. Und welche Möglichkeiten wir haben, um dies zu verhindern oder mit einer bestehenden Erkrankung besser umzugehen.

Im Kurs für Führungskräfte, der für alle interessierten Firmen zur Verfügung steht, geht es um eine gesundheitsförderliche Führung – zum Beispiel, was den Kommunikationsstil oder das Treffen von Entscheidungen angeht. Aber auch darum, wie Anzeichen psychischer Probleme frühzeitig erkannt und angesprochen werden können. Ausserdem reden wir darüber, wie sich Mitarbeitende in solchen Situationen gut unterstützen lassen – auch mit Blick auf die Bedürfnisse von Team und Betrieb.

Nicht zuletzt geht es im Kurs zudem um die Handlungsmöglichkeiten der Führungskräfte für sich selbst. Oft sind gerade sie ständigem Druck und hohen Anforderungen ausgesetzt. Wir schauen Strategien an, wie man erstens Überbelastung vorbeugen, zweitens Stresssituationen besser meistern und drittens vorhandene Überlastungssymptome effektiver abbauen kann. Und wir zeigen, dass man sich über gemeisterte Herausforderungen auch richtig herzhaft freuen darf.»

Roland Schaad
Geschäftsführer
SCHAAD - Systemische Psychologie

«Wie geht’s dir?» und «Etwas tun?!»

Weitergehende Informationen und hilfreiche Tipps zu psychischer Gesundheit und zum Umgang mit psychischen Problemen bieten folgende zwei Angebote:

  • «Wie geht’s dir?»: Häufig fragen wir unser Gegenüber «Geht’s gut?». Die Antwort «Ja» – ob sie nun stimmt oder nicht – ist damit schon vorgespurt. Fragen wir hingegen «Wie geht’s?», signalisieren wir, dass wir offen sind für jegliche Art von Antworten. Sind wir bereit, auch unbequeme Tatsachen zu hören und vielleicht ungeplant ein längeres Gespräch zu führen? Auf der Website der von verschiedenen Kantonen und Organisationen getragenen Kampagne «Wie geht’s dir?» findet man Gesprächstipps sowie Hinweise, wie die Psyche im Unternehmen gestärkt werden kann (z.B. Ratgeber für Führungskräfte oder Arbeitnehmende). Ebenfalls angeboten werden ein Emotionen-ABC mit Tipps zum Umgang mit verschiedenen Gefühlen (z.B. wenn man sich G wie GESTRESST fühlt), ein Selbst-Check sowie Links zu Angeboten im eigenen Kanton.
     
  •   «Etwas tun?!»: Mit der interaktiven Web-App von WorkMed und Angestellte Schweiz kann man sich für psychisch herausfordernde Situationen am Arbeitsplatz am Beispiel von vier Themen stärken: dem Umgang mit Frustrationen, Veränderungen, Überlastung sowie psychischen Auffälligkeiten von Mitarbeitenden oder im Team. Auf spielerische Weise kann man in Dialogform konkrete Fallsituationen durchspielen, sein Wissen testen, von Fachleuten lernen, seine eigenen Erfahrungen reflektieren und Übungen zur Selbst-Stärkung machen. Weiter findet man Hintergrundinformationen zu ausgewählten Themen sowie eine Seite mit Links zu Beratungsangeboten.
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