«Alain kann darauf zählen, dass seine Meinung zählt.»

Wie Alain merkt, dass seine Meinung wichtig ist

Wer gehört wird und seine Überlegungen einbringen kann, fühlt sich ernst genommen und merkt, dass die eigene Stimme etwas zählt. Das führt zu mehr Zufriedenheit und Verbundenheit mit dem Arbeitsplatz, was eine wichtige Quelle für die psychische und physische Gesundheit ist. Nicht nur Mitarbeitende profitieren davon, wenn ihre Meinung zählt, sondern auch das Unternehmen. Einerseits weil gesündere Mitarbeitende leistungsfähiger sind, andererseits weil die Meinungsvielfalt das Innovationspotenzial steigert.

Gärtner Alain Schorderet wird von seinem Vorgesetzten Jan Hübscher regelmässig um Rückmeldungen zu neuen Arbeitsgeräten gebeten, die gerade getestet werden. Alains Einschätzungen fliessen in die Entscheidungen ein, mit welchen Geräten die Firma künftig arbeiten soll. So merkt Alain, dass seine Stimme etwas zählt. Gleichzeitig bringt er das Unternehmen weiter.

Das Einholen von teilweise auch unbequemen Rückmeldungen kann für die Betriebsverantwortlichen zwar mehr Aufwand bedeuten. Zum Beispiel, wenn auf der Suche nach einer Lösung für ein Arbeitsgerät nochmals eine Runde gestartet werden muss. Die so gewonnenen Entscheidungen lohnen sich jedoch längerfristig. Und auch die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden ist höher.
 

Kritischen Meinungen Rechnung tragen

Mitarbeitende sollten im Betrieb regelmässig die Möglichkeit haben, ihre Einschätzungen, Meinungen und Vorschläge einzubringen. Sei es in bilateralen Gesprächen, Teamsitzungen, spontan, in Arbeitsgruppen oder grösser angelegt über Befragungen. Dabei ist es wichtig, auch kritische Stimmen zuzulassen, damit eine realistische Einschätzung der Situation gewonnen werden kann. Denn wenn der Wunsch nach Harmonie oder die Angst vor negativen Reaktionen oder Konsequenzen zu gross werden, nützen auch Partizipations-bemühungen wenig für Entscheidungen. Diesem Problem kann man mit der Rolle des Advocatus Diaboli in Sitzungen entgegentreten – dem Anwalt des Teufels als Vertreter einer unbeliebten Meinung.

Advocatus Diaboli: Wenn ein Team die Köpfe zusammensteckt, um eine Entscheidung zu treffen, kann es durchaus vorkommen, dass alle derselben Meinung sind. Doch teilen tatsächlich alle diese Ansichten? Oder wird dem Frieden zuliebe und zur Konfliktvermeidung einfach freundlich zugestimmt? Zum Problem wird dies, wenn es um eine realistische Bewertung von Entscheidungsalterna¬tiven geht. Hier setzt die Idee des Advocatus Diaboli an, der Rolle des «Anwalt des Teufels». Die Idee wurde für die Erwachsenenbildung entwickelt: Die Person in der Rolle des Advocatus Diaboli lernt, Gegenmeinungen zu vertreten, die nicht den eigenen entsprechen. Für den Entscheidungsprozess in einer Gruppe bedeutet dies, dass der Advocatus Diaboli die Rolle eines Gegners einnimmt und alle negativen Punkte einer Entscheidungsalternative aufzeigt. 

In einer Teamsitzung wäre dies zum Beispiel eine ausgewählte Person, die alle Nachteile zu einem Sachverhalt benennen muss. Der Advocatus Diaboli kann auch routinemässige Tätigkeiten hinterfragen, was der Betriebsblindheit vorbeugt. Es gilt aber zu beachten, dass nicht immer dieselbe Person diese Rolle einnimmt. Wenn bei der nächsten Teamsitzung eine andere Person an der Reihe ist, werden kritische Meinungen nicht mit den Einstellungen dieser einen Person verknüpft.
 

Blinde Flecken aufdecken

Nicolas Burger ist Arbeits- und Organisationspsychologe und Geschäftsführender Partner bei der Conaptis GmbH, eine auf Betriebliches Gesundheitsmanagement spezialisierte Organisationsberatungsfirma mit Sitz in Zürich. Conaptis optimiert in Organisationen das Zusammenspiel zwischen Mitarbeitenden, Arbeitsgestaltung und Organisationsprozessen.

Er meint zum Thema Mitsprache und Einbezug der Mitarbeitenden in Unternehmen: «Am häufigsten wird die Meinung der Mitarbeitenden anhand von schriftlichen Befragungen erhoben. Dabei können Betriebe auf bewährte Befragungs-Tools zurückgreifen oder eigens erstellte Fragebögen einsetzen.
Standardisierte Befragungsinstrumente mit besonderem Augenmerk auf gesundheitsrelevante Themen bieten den Vorteil, dass sie blinde Flecken eher aufdecken können, da auch Aspekte befragt werden, an die ein Betrieb selber nicht gedacht hätte. 

Unter Umständen sind vorgefertigte Befragungen aber zu wenig auf die Bedürfnisse des Betriebs abgestimmt. Zudem sind sie nicht immer die beste Erhebungsart für die zu befragende Zielgruppe. Gründe könnten sein, dass das Sprachverständnis nicht bei allen Mitarbeitenden ausreichend ist oder Mitarbeitende solche Online-Befragungen generell nicht gewohnt sind, was dann zu tiefen Teilnahmequoten führen kann und folglich die Aussagekraft der Resultate schmälert. Auch die Anonymitätsfrage ist oft eine Hürde, die kommunikativ gut gemeistert werden muss. 

Als Alternative zur schriftlichen Befragungsform, insbesondere in Kleinst- und Kleinunternehmen, haben sich Workshops in Form von Gesundheitszirkeln oder Fokusgruppen bewährt. In diesen Formaten werden mit ausgewählten Mitarbeitenden oder mit einem ganzen Team im direkten Dialog Belastungen und Ressourcen bei der täglichen Arbeit erhoben und diskutiert. Gleichzeitig werden Vorschläge zur Verbesserung ihrer Arbeitssituation ausgearbeitet. Diese Vorgehensweise, bei der man explizit Betroffene zu Beteiligten macht, geniesst in der Regel eine hohe Akzeptanz bei den Mitarbeitenden und wird als wertschätzender Einbezug wahrgenommen.

Wichtig bei allen Erhebungsverfahren ist, dass im Nachgang konsequent Veränderungsmass¬nahmen eingeleitet werden, um die mit der Analyse geweckten Erwartungen nicht zu enttäuschen.

Nicolas Burger
Arbeits- und Organisationspsychologe, Geschäftsführender Partner
Conaptis GmbH

Instrumente zur Identifizierung von Belastungen und Ressourcen

  • «Friendly Work Space Job-Stress-Analysis» der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz: Wissenschaftlich validiertes Online-Befragungsinstrument, welches Belastungen, Ressourcen, Befinden und Einstellungen zur Arbeit im Betrieb erfasst. Die Ergebnisse werden mit einem allgemein gültigen Benchmark verglichen. Zudem erhält jeder Teilnehmende eine individualisierte Auswertung mit Tipps
  • KMU-vital Mitarbeitendenbefragung  der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz: Online und als Papierversion kostenlos zugängliches Befragungs-Tool, welches 10 gesundheitsrelevante Themenbereiche erhebt, darunter auch körperliche Beschwerden und die Gemütsverfassung.
  • NoStress-Workshop für Teams oder Kleinunternehmen: Workshop (ausgelegt auf 4 Stunden) zur Erhebung von Aufstellern und Ablöschern (Ressourcen und Belastungen; mit Drehbuch und Vorlage in Form eines Foliensatzes).
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